3. Warum Belege aus dem Internet? |
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3.1 Textvielfalt vs. literarische Texte. Standen vor nicht allzulanger Zeit dem Linguisten, der Belege für seine Untersuchungen benötigte, als schriftliche Korpora nur die üblichen Textbelege wie etwa Werke der Literatur, Zeitungen oder Zeitschriften zur Verfügung, so können heute wesentlich mehr Textsorten in sekundenschnelle mit einer Internetsuchmaschine erfasst werden. Lediglich hinsichtlich der authentischen gesprochenen Sprache ergeben sich hier immer noch Einschränkungen. Wer authentische Textbelege zu dem als "salopp" markierten Phrasem die/seine Klappe halten (E.3,1) sucht, wird selten bei den Klassikern der deutschen Sprache fündig werden. Dieses Manko ist umso bedauerlicher, da sehr viele Phraseme bevorzugt in der gesprochenen Sprache vorkommen. Allerdings ergeben sich einige Berührungspunkte bei den Texten, die in den Internetforen oder von Bloggern produziert werden. Mit ihrem einfachen Wortschatz, mit ihrer dürftigen Syntax und vor allem mit ihrer eigenwilligen, an die gesprochene Sprache angepassten Orthographie nähern sich bisweilen solche Textbelege sehr stark der gesprochenen Sprache an, auch wenn sie natürlich nicht die systematische Auswertung von Korpora der gesprochenen Sprache ersetzen können. Was in den Wörterbuchangaben verhüllend mit „salopp“ oder „vulgär“ bezeichnet wird, zeigt sich hier unverhüllt, wenn frustrierte Zeitgenossen z.B. ihren Ärger über inkompetente Werkstätten, technische Geräte oder Banker und Politiker in deftigen Kommentaren zum Ausdruck bringen. Solche Textsorten kann man auch in der Straßenbahn, in der Eckkneipe oder in der Sauna hören. (Vgl. hierzu Ehrhardt 2011:155-176). Daneben lassen sich im Internet eine Fülle von Texten finden, die üblicherweise einem Sprachwissenschaftler nicht leicht zugänglich sind, wie z. B. Werbetexte von Handwerksbetrieben, von Immobilienmaklern, von Reisebüros, von Ärzten, von Banken oder von Rechtsanwaltskanzleien. Selbstverständlich werden durch die bekannten Internetsuchmaschinen auch die im Internet frei zugänglichen Zeitungen und Zeitschriften erfasst mit den bekannten phrasemreichen Textsorten, wie z.B. Leitartikeln, Kommentaren zur Politik und Kultur, Berichten aus dem Sport- und Wirtschaftsteil, Leserbriefen, Horoskopen sowie Film-, Buch- und Fernsehkritiken. Dazu kommen Internetauftritte von Radio- und Fernsehanstalten, von Schulen und Universitäten, von Kirchen, Firmen, Städten, Vereinen und Behörden, aber auch sehr private Texte, wie z.B. Autobiographien, Lebensläufe, Reiseberichte,Tagebücher zu den Kriegs- und Nachkriegsjahren oder Feldpostbriefe. Aus den mannigfaltigen Belegen kann der Benutzer erkennen, dass sich das Spektrum der ausgewerteten Texte beachtlich erweitert hat und nun einen realistischeren Einblick in die Sprachwirklichkeit gibt als die bislang vornehmlich verwendeten literarischen Texte. Die technische Seite der Belegsuche lässt sich mit ein paar Sätzen erklären, da inzwischen Internetsuchmaschinen zum Alltag gehören. Wir haben bei der Arbeit mit der Suchmaschine www.google.de die jeweilige Redewendung auf die Infinitivform reduziert, zuweilen auch nur auf das Schlüsselwort und den zu suchenden Beleg in Anführungszeichen gesetzt. Ein Sternchen (*) ermöglichte die Suche nach weiteren Wortelementen. Bei der Belegsuche für das Phrasem jmdm. einen Bärendienst erweisen haben wir in die Suchmaschine folgende Angaben eingegeben: „* einen Bärendienst erweisen“ (161.000), „ Bärendienst erweisen“ (74.600), "Bärendienst erwiesen" (128.000) und „Bärendienst“ (558.000 ). Am 8. Februar 2019 ergaben sich dafür um 10.45 Uhr die in Klammern gesetzten Belegzahlen. Selbstverständlich könnte man die Suche noch verfeinern und das Verb in konjugierten Formen verwenden. Solche Untersuchungen, die für einzelne Redewendungen sehr fruchtbar sein können, waren aber nicht das Ziel unserer Arbeit.
3.2 Ausführliche Belege: 51 UrhG - Gesetze im Internet Großzitate (§ 51 Nr. 1 UrhG) vs. Kleinzitate (§ 51 Nr. 2 UrhG). Siehe hierzu auch Einige Anmerkungen zur Belegauswahl. Im Gegensatz zu den äußerst knappen Internetzitaten, mit denen sich aus kommerziellen Gründen sowie aus verständlichen Platzgründen phraseologische Wörterbücher in Printform, wie z.B. der Duden, Band 11 Redewendungen. Wörterbuch der deutschen Idiomatik, Mannheim 2008, 3. Auflage, begnügen müssen, konnte in der vorliegenden Internetversion wesentlich ausführlicher zitiert werden. Internetdatenbanken verfügen im Grunde über unbegrenzten Speicherplatz (Vgl. hierzu HRISZTOVA-GOTTHARDT, H. (2010): Vom gedruckten Sprichwörterbuch zur interaktiven Datenbank; Umurova 2005) und ermöglichen daher auch eine andere Art des Zitierens. Einen einfachen Link auf eine Textstelle zu setzen, in der ein bestimmtes Phrasem vorkommt, wäre juristisch sicher völlig unverfänglich, aber für eine praktische Konsultation einer Phrasemdatenbank unergiebig. Der Benutzer müsste den ganzen Beitrag vollständig durchlesen, bekäme weder Erläuterungen zum Gebrauch des Phrasems noch Hinweise auf zusätzliche Informationen und würde auch nicht durch Fett- bzw. Kursivdruck auf die Phraseme des Textzitates hingewiesen. Wir verfolgen bei unserer Zitatauswahl - es handelt sich neben Kleinzitaten auch um die so genannten "kleinen Großzitate" - vor allem drei wesentliche phraseodidaktische Ziele.
a) Der Leser bzw. der Benutzer soll erkennen, dass Redewendungen in authentischen Texten nicht wie in präparierten Übungstexten gehäuft vorkommen, sondern bisweilen nur in sehr geringen Dosen. Oftmals enthält eine ganze Seite Text nur eine einzige Redewendung, die aber gerade das Wesentliche des Textes beschreibt und gleichsam die Quintessenz des Textes ausmacht. Um diese wichtige zentrale Funktion eines Phrasems noch zu unterstreichen, wird bei solchen Textauszügen häufig das Phrasem zuerst im Titel verwendet und später nochmals eingebettet im Text. Wir haben dies durch entsprechende Klammernangaben gekennzeichnet: < Das Phrasem in der Überschrift eines Beitrages soll die spontane Neugier des Lesers wecken und zum Weiterlesen einladen. Es enthält in nuce das Wesentliche des Beitrages.>. Ausführliches Zitieren als so genanntes "großes Kleinzitat" ist für einen solchen Phrasemgebrauch absolut erforderlich.
b) Zum anderen ermöglichen es nur längere, ausführliche Textbelege, dass der Benutzer die Redewendung in ihrem ganzen semantischen und pragmatischen Umfang richtig erschließen und später auch verwenden kann. Mit Hilfe eines von uns entwickelten, stark formalisierten Erschließungsblattes lassen sich auf diese Weise die jeweiligen Sprechintentionen der verschiedenen Aktanten in ihren jeweiligen Sprechsituationen besser erkennen und verstehen. (Siehe hierzu Meine persönliche Phraseologismensammlung). Bringt man zu der oben erwähnten Redewendung jmdm. einen Bärendienst erweisen als Beleg ein Kleinzitat, wie z.B, "Er hat dadurch seiner Partei einen Bärendienst erwiesen", so kann ein Deutschlernender mit diesem Beleg wenig anfangen. Wer ist dieser "er", welche Handlung verbirgt sich hinter "dadurch"? Welche Partei ist gemeint? Lediglich einen einfachen Satz als Beleg für eine Redewendung zu zitieren, erscheint uns aber nicht nur überflüssig, sondern ein solches Verfahren kann sogar missverständlich sein. Dem Lernenden wird nämlich dadurch der falsche Eindruck vermittelt, die Redewendung sei problemlos mit ihrer Umschreibung in jedem Kontext austauschbar ohne Berücksichtigung des semantischen Mehrwerts. An einem weiteren Beispiel soll diese unzulängliche Gleichsetzung erläutert werden. Die Redewendung Kohldampf schieben z.B. bedeutet nach den üblichen Wörterbuchangaben „Hunger haben“ und „Hunger haben“ könnte also demzufolge jederzeit durch Kohldampf schieben ersetzt werden. Ein konstruiertes Beispiel mag eine solche Inkongruenz verdeutlichen: *In den Flüchtlingslagern im Gazastreifen werden auch weiterhin viele vertriebene Palästinenser Kohldampf schieben. Unsere genauere Umschreibung in B.1.4,4 < Das umgangssprachliche Phrasem wird oft mit dem Modalverb 'müssen' und häufig in einem Tempus der Vergangenheit verwendet. Der Kontext bezieht sich zumeist auf Militär-, Wander- oder Jugendgruppen oder auch auf Soldaten bzw. Gefangene der Kriegs- und Nachkriegszeit. > sowie die dort angeführten Internetbelege mögen dies verdeutlichen. (Vgl. Ettinger 2000, 3-4:143-147).
c) Schließlich sollen die so genannten "kleinen Großzitate" noch dazu beitragen, dass der Benutzer sich mit Hilfe des umfangreichen Kontextes auch die Redewendung besser einprägen kann. Ein konkretes Ereignis bzw. Geschehen wird mit der entsprechenden Redewendung vernetzt. (Vgl. hierzu auch das Kapitel 3.4).
3.3 Orthographie. Bei der Fülle der ausgewerteten Belege aus dem Internet mit ihren chronologischen und regionalen Unterschieden ließ es sich nicht vermeiden, dass sich in der Orthographie des Deutschen ein schrecklicher Wirrwarr ergab, den zu verbessern es auch dem Rechtschreibeprogramm des Computers nicht gelang. Wir haben uns daher damit begnügt, die ursprüngliche Orthographie der verschiedenen Textbelege möglichst unverändert beizubehalten, so dass sowohl die alte als auch die neue Orthographie vertreten sind. Ebenso haben wir auch die in der Schweiz übliche Wiedergabe der Umlaute (ae für ä, oe für ö und ue für ü) übernommen sowie das ss für den Konsonanten ß. Nur bei allzu starken orthographischen Abweichungen haben wir die einzelnen Wörter durch ein in Klammer gesetztes (sic) bzw. durch ein Ausrufezeichen (!) gekennzeichnet, während ein Fragezeichen (?) in Klammer ausdrücken soll, dass die betreffende Stelle von uns inhaltlich nicht ganz verstanden wurde.
3.4 Thematische Auswahl. Bei der thematischen Auswahl der Textbelege war es von Anfang an unser Bestreben, möglichst keine hochaktuellen, tagespolitischen Themen zu zitieren. Die Textstellen sollten zeitlos sein und als kleine Puzzlesteine am Ende eine Art Landeskunde der deutschsprachigen Länder ergeben. Die politische und vor allem wirtschaftliche Entwicklung verlief in den letzten Jahren jedoch so rasant, dass manche Textbelege inzwischen leider nicht mehr zeitlos wirken, sondern ziemlich „alt aussehen“. Der Benutzer kann jedoch über die Internetangabe zumeist problemlos auf den Originaltext zurückgreifen und auf diese Weise die zeitbedingten Umstände erfassen. Es ist jedoch geplant, veraltete Zitate durch aktuellere Belege auszutauschen. Die Möglichkeit zur ständigen Aktualisierung ist ein weiterer großer Vorteil einer Internetdatenbank. Sehr gerne haben wir aus mnemotechnischen Gründen Textbelege ausgewählt, die Anekdoten, Witze oder (beinahe) unglaubwürdige Ereignisse behandeln. Unsere Absicht war es, eine besondere Geschichte mit einem zentral verwendeten Phrasem zu verbinden, um auf diese Weise das Einprägen des Phrasems zu erleichtern. Siehe hierzu z.B die Buchbesprechung von Erika Wimmer, die um das Phrasem "Ich habe einen Bock geschossen" kreist. (F.13,2). Auch das Phrasem jmdm. einen Bärendienst erweisen (F.16,2) lässt sich vermutlich durch den folgenden Kontext besser einprägen: http://www.abendblatt.de/sport/article162244/Regionalligaspiel-abgebrochen.html. Einen knappen Überblick zu den Mnemotechniken, bei denen „beide Gehirnhälften aktiviert (werden) zur Verknüpfung von bildlichen und verbalen Informationen zu mnemotischen 'Bildern'“ findet man in dem folgenden kleinen Beitrag: http://www.hueber.de/wiki-99-stichwoerter/index.php/Mnemotechniken
3.5 Bedeutungserweiterungen: Bei einigen Phrasemen ließ sich aus den authentischen Belegen eine Bedeutungserweiterung gegenüber den normativen Wörterbuchangaben erkennen, auf die wir dann jeweils mit einem kurzen Kommentar hingewiesen haben, wie z. B. bei den Redewendungen die Flöhe husten hören (D.10,1 ) und das Gras wachsen hören (D.10,5), die inzwischen offensichtlich auch auf akustisch wahrnehmbare Geräusche bezogen werden können. Ob sich diese Bedeutungserweiterungen bzw. Bedeutungsveränderungen durchsetzen und somit verallgemeinern werden, lässt sich natürlich nicht mit Bestimmtheit vorhersagen. Bei dem Phrasem passen wie die Faust aufs Auge (E.6.1 und E.9.5) sind inzwischen jedoch die beiden Bedeutungen a) „überhaupt nicht passen“ und b) „sehr gut passen“ auch von der mehr normativen Phraseographie anerkannt. (Duden Band 11, 3. Auflage 2008, S. 574). Weitere Besipiele finden sich bei den Phrasemen: jmdn. unter seine Fittiche nehmen (ugs.; scherzh.) D.4,6; E.33,1; Haare auf den Zähnen haben (ugs.) B.2.5,6; jmdm. den/einen Zahn ziehen (ugs.) E.49,1. Zu solchen Bedeutungsveränderungen siehe auch die Beiträge von Ettinger 2004 "Zeig Pelz die kalte Schulter!" , Ettinger 2009 „Haben die Männer am Grill die Hosen an? Phraseographie und Sprachwirklichkeit“ sowie die Untersuchungen von Stumpf (2015) und Stumpf 2016: 317-342.
3.6 Etymologie. Bei den Hinweisen zur Etymologie haben wir uns von zwei Überlegungen leiten lassen. Einerseits haben wir uns bemüht, nur solche Angaben aufzunehmen, die nach den bisherigen Forschungsergebnissen als gesichert gelten und die dadurch dem Lernenden das Memorieren des jeweiligen Phrasems erleichtern können, wie z.B. bei der Redewendung der Katze die Schelle umhängen (C.10,3). Andererseits sollten die Etymologien den landeskundlichen Absichten des Lesebuches entsprechen, so dass natürlich Erklärungen zu den Phrasemen ausgehen wie das Hornberger Schießen (F.9.6) nicht fehlen durften und ebensowenig Erläuterungen zu den Phrasemen Hinz und Kunz (G.7.7) oder Kind und Kegel (G.7.9). Fanden sich dagegen bei einer Redewendung widersprüchliche oder wenig überzeugende Etymologien, so haben wir auf solche Angaben verzichtet. Die Angaben zur Etymlogie wurden zumeist dem Duden, Band 11, Redewendungen. Wörterbuch der deutschen Idiomatik, Mannheim 2008, 3. Auflage entnommen und entsprechend gekennzeichnet. Sehr oft fanden sich auch nützliche Hinweise in der Wikipedia mit weiterführenden Literaturangaben. Nicht selten versuchen auch mehr populärwissenschaftliche Sammlungen von Redewendungen etymologische Hinweise zu geben, die aber zumeist nur die Angaben des Dudens variieren. Auffallend ist immer wieder, dass in den nichtwissenschaftlichen Arbeiten zu den Redewendungen gerade der Etymologie ein besonders großes Interesse entgegengebracht wird. Im Grunde geht es bei all diesen Erklärungen von Phrasemen fast immer nur um die Frage ihres Ursprungs. An einigen Beispielen des Französischen hat Bierbach (1989:187-210) sehr schön gezeigt, dass große philologische Sorgfalt nötig ist, um zu abgesicherten Ergebnissen zu kommen. - Fragen zum richtigen situationellen Gebrauch eines Phrasems stoßen dagegen auf sehr geringes Interesse. (vgl. hierzu Donalies 2009:33-56), obwohl gerade sie im Fremdsprachenunterricht von besonderer Bedeutung sind.
3.7 Frequenz Mit Hilfe einer Suchmaschine lassen sich bekanntlich in sekundenschnelle Zahlenangaben zu den Belegen eines Phrasems finden. Unsere Absicht war es zunächst, zu jeder Redewendung die entsprechenden Belegzahlen der Infinitivform anzugeben, aber aus den folgenden Gründen haben wir dieses Vorhaben aufgegeben:
- Das Internet kann nämlich nicht als ein homogenes, stabiles Korpus betrachtet werden, in dem verschiedene Textsorten prozentual der Sprachwirklichkeit entsprechend zusammengestellt sind. Ein Buch-, Film- oder Liedtitel kann innerhalb kürzester Zeit aufgrund seiner Aktualität das Gesamtbild völlig verändern. Ebenso verhält es sich mit den Titeln von Fernseh- und Radiosendungen. Während z. B. vor Jahren noch die Redewendung den Stein der Weisen suchen der gehobenen Sprachschicht angehörte und zumeist eine Erklärung im Sprachunterricht erforderte, hat dank Harry Potter die Frequenz dieses Phrasems gewaltig zugenommen und es dürfte inzwischen auch allgemein verständlich sein. Ähnliche Verzerrungen ergeben sich bei den Redewendungen, die für /DURST/ bzw. /TRINKEN/ gebraucht werden (B.1.5). Durch einen immer wieder zitierten dämlichen Blondinenwitz hat die Redewendung sich einen hinter die Binde gießen alle anderen Redewendungen dieser Gruppe zahlenmäßig weit überholt, ohne dass dies der Sprachwirklichkeit entspräche.
- Im Gegensatz zu einem abgeschlossenen Textkorpus ähnelt das Internet dem sich immer weiter ausdehnenden Weltall. Die Zahlenbelege für Redewendungen nehmen kontinuierlich zu und beinahe täglich erhalten wir größere Zahlenmengen. Im Grunde sind die Zahlenangaben eigentlich schon beim Ausdrucken überholt. Die Relation jedoch zu anderen Zahlenangaben, wie z.B. bei den Varianten eines Phrasems, bleibt jedoch zumeist erhalten. Kommt z.B. eine Variante zehn mal häufiger vor als eine andere, dann mögen sich zwar die absoluten Zahlen verändern, nicht jedoch das Verhältnis 10 zu 1.
- Bei einer repräsentativen Zahl von Phrasemen, die keinerlei grammatikalische Restriktionen aufweisen, haben wir aus Neugierde neben der Infinitivform auch konjugierte Formen zahlenmäßig erfasst und dabei festgestellt, dass sich die Frequenz der Infinitivform grosso modo mit den konjugierten Verbformen deckt. Hohen bzw. niedrigen Belegzahlen bei der Infinitivform entsprechen jeweils hohe bzw. niedrige Belegzahlen bei den konjugierten Formen. Bei Phrasemen mit grammatikalischen Restriktionen gilt dies jedoch nicht. An Hand der vor allem im Imperativ verwendeten Redewendung die Ohren steif halten wird dies sehr deutlich: die Ohren steif halten (606.000), halt die Ohren steif! (567.000) und haltet die Ohren steif! (119.000). Alle Belege fanden sich am 8. Februar 2019 um 10.54 im Internet.
- Erwähnenswert wäre noch eine für mich erstaunliche Tatsache, die berechtigte Zweifel an der eigenen Sprachkompetenz aufkommen lässt. Nachdem ich ca. 400 Phraseme hinsichtlich ihrer Frequenz untersucht und somit einen ersten Überblick über Belegzahlen im Internet erhalten hatte – sie reichten vom unteren Zehnerbereich bis hin zu mehr als 100.000 Belegen- machte ich bei den 'restlichen' 1000 Phrasemen einen kleinen Selbstversuch. Ich habe jeweils grob über den Daumen gepeilt eine ziemlich vage Zahlenangabe nach meinem Sprachgefühl (unter 100 Belege, 100 bis 500, über 500, über 1000 Belege usw.) für mich vorgeschlagen, bevor ich die Ergebnisse der Suchmaschine einholte. Dem Himmel sei's geklagt! Die Ergebnisse waren selbst bei Belegen, die keine Buch- oder Filmtiteln enthielten, sehr ernüchternd. Meine idiolektale Sprachkompetenz hinsichtlich der Belegzahlen deckte sich nicht allzu häufig mit den Suchergebnissen von Google. Der mutige Leser möge selbst einmal die Probe auf's Exempel machen!
Zahlenbelege mit entsprechender Datumsangabe finden sich daher nur sporadisch in unserem phraseologischen Lesebuch, zumeist nur bei Varianten eines Phrasems, wie z.B. die Zahlenangaben vom 4. 8. 2007 bei den Phrasemen unter B.1.3,2 : schlafen wie ein Murmeltier (1.720), ein Stein (1.150), ein Bär (368), ein Toter (24), ein Ratz (22), ein Dachs (14), ein Sack(11), eine Ratte (5). Die absoluten Zahlenangaben haben sich seit 2007 zwar beträchtlich zugenommen, aber von der Frequenz her überwiegen auch im Jahre 2019 (Einsichtnahme am 8. Februar 2019, 11.22 Uhr) weiterhin die Phraseme schlafen wie eine Murmeltier (15.600), schlafen wie ein Stein (21.400) und schlafen wie ein Bär (5.900). Insofern haben also die Zahlenangaben zu den Phrasemen doch eine gewisse Berechtigung, da sie deutlich machen, dass die im Wörterbuch als gleichberechtigt nebeneinanderstehenden Varianten in der Sprachwirklichkeit doch beträchtliche Frequenzunterschiede aufweisen können.
Wie man bei Phrasemen Frequenzangaben geschickt mit Untersuchungen zur Geläufigkeit verbinden kann, um zu einem phraseologischen Optimum zu kommen, haben Hallsteinsdóttir et al. (2006) in ihrem Beitrag gezeigt: https://bop.unibe.ch/linguistik-online/issue/view/190. Das Deutsche dürfte dank dieser Arbeit wohl die erste Sprache sein, die über wissenschaftlich überprüfbare Angaben zur Frequenz des zentralen Phrasembestandes verfügt.
3.8 Struktur der Einträge. Die Redewendungen des phraseologischen Lesebuches sind onomasiologisch bzw. ideographisch gegliedert, d.h. unter einem Schlüssel-, Leit- bzw- Oberbegriff sind jeweils mehrere nach dem heute üblichen Alphabetisierungsschema durchnummerierte Phraseme zusammengefasst. Das für eine alphabetische Gliederung relevante Schlüsselwort - nicht zu verwechseln mit dem Schlüsselbegriff eines Phrasems!- ist durch Fettdruck hervorgehoben. In runden Klammern folgen bisweilen Angaben zur Stilschicht, wie z.B. ugs. (= umgangssprachlich), die sich zumeist an die Angaben im Duden, Band 11 Redewendungen. Wörterbuch der deutschen Idiomatik, Mannheim 2008, 3. Auflage anlehnen. Die Umschreibungen der Redewendungen im Wörterbuchteil wurden aus demselben Dudenband übernommen und durch den Hinweis (Duden - Redewendungen, ³2008) gekennzeichnet. Zu jedem einzelnen Phrasem wurden von uns in spitzen Klammern kurze, präzisierende Angaben zur Redewendung sowie zu ihrer Verwendung gegeben. Häufig erfolgen auch noch inhaltliche Ergänzungen durch den Hinweis auf einen Beitrag in Wikipedia. Wir erhalten somit folgenden Aufbau: F.2,15: etwas läuten hören (ugs.) < Das Phrasem wird zumeist in einer Form der Vergangenheit verwendet. > etwas in Andeutungen erfahren (Duden - Redewendungen, ³2008). Es folgt dann die Angabe der Internetquelle, der die Textstelle entnommen ist. Die genannten Internet-Links waren alle während der Zeit der Erarbeitung der Phrasemdatenbank (2007 bis 2009) aktiv. Auf Grund der Instabilität der von uns bevorzugt ausgewählten Textquellen, wie z.B. Internetforen ode Bloggerkommentare, führen inzwischen viele Links leider nur noch zu ERROR 404. In diesen bisweilen recht umfangreichen Zitaten ist die jeweilige Redewendung durch Fettdruck hervorgehoben, während andere im Text ebenfalls vorkommende Redewendungen kursiv gesetzt sind. Der weiter oben schon erwähnte recht ausführliche Kontext zu den jeweiligen Redewendungen (Siehe unter 3.2 ) soll ihr Verständnis erleichtern und hat ausschließlich die Funktion eines wissenschaftlichen Zitates. Bei der Fülle der dabei gefundenen elektronischen Publikationen kann nicht ausgeschlossen werden, dass bisweilen Material aufgeführt ist, das eventuell bestehende Schutzrechte verletzt und das nicht als solches erkannt wurde. Wenn uns eine entsprechende Urheberrechtsverletzung angezeigt wird, wird das entsprechende Material umgehend gelöscht. Weitere Hinweise zum Aufbau der Einträge finden sich in der Einleitung von 1997 unter den Abschnitten 2.3 und 2.4.
3.9 Terminologie. Hinsichtlich der Terminologie ist zu beachten, dass phraseologische Wörter- oder Lehrbücher der besseren Verkaufsmöglichkeiten wegen allgemein verständliche Titel tragen müssen. Mit einem Buchtitel wie Festgeprägte prädikative Einheiten des Deutschen wäre verkaufstechnisch sicherlich kein Blumentopf zu gewinnen. Die Termini Redewendungen oder auch Redensarten haben sich als verständlich und verkaufsfördernd erwiesen und mit einem Zusatz wie Idiomatik bzw. Phraseologie des Deutschen, Englischen, Französischen usw. bekommt der Titel auch einen leicht wissenschaftlichen Anstrich. Siehe hierzu auch die Titelangaben des Duden Band 11, die sich im Laufe der Jahr geändert haben. In Anlehnung an die Druckausgabe (Hessky/Ettinger 1997, Kapitel 2.1) verwenden wir den Terminus Redewendung, den wir später zumeist durch den Terminus Phrasem ersetzt haben. In der Phraseologie, einem Teilbereich der Linguistik, der sich wissenschaftlich mit diesen „sprachlichen Fertigbauteilen“ befasst, wurden inzwischen ausführliche Klassifikationen mit entsprechenden Terminologien erarbeitet (Fleischer, Korhonen, Burger), diskutiert und weiter ausdifferenziert. (Donalies 2009: 29-31). Schließt man sich Burger (2007) an, dann enthält die vorliegende Sammlung zumeist a) referentielle Phraseologismen und nur in einem kleinen Kapitel nämlich (H. Situationsgebundene Phraseologismen) auch b) kommunikative Phraseologismen bzw. Routineformeln. Topische Formeln mit den Untergruppen Sprichwörter und Gemeinplätze bleiben dagegen ausgeklammert.